Wissenswertes

Zur Geschichte der Sichttiefenmessung

Schon in historischen Zeiten waren interessierte Persönlichkeiten darum bemüht, ein Maß für die Durchsichtigkeit eines Gewässers zu finden. Im deutschen Sprach­raum hat sich hierfür der etwas unklare Begriff „Sichttiefe“ durchgesetzt. Es handelt sich dabei um die Tiefe, in der ein im Wasser befindlicher Gegenstand dem Auge entschwindet, und damit eigentlich um einen Grenzwert, wie es z.B. im fanzösischen Fachausdruck „la limité de visibilite“ besser zum Ausdruck kommt.

Die Anfänge der Sichttiefenmessung liegen im marinen Bereich und reichen bis in das 17. Jahrhundert zurück. Die bekanntermaßen frühesten Messungen stammen aus dem Jahre 1676 und wurden östlich von Nova Zembla von Captain Wood durchgeführt. Die erste veröffentlichte Sichttiefe eines Sees bezieht sich auf den Vätternsee in Schweden, stammt aus dem Jahre 1705 und beträgt 30 m.

Die nächsten festgehaltenen Sichttiefenmessungen zeich­nen sich durch ihren systematischen Untersuchungsansatz und dem Bestreben nach einheitlichen Versuchsbedingungen aus. Es wurden die verschiedenartigsten, meist flächen­haften Gegenstände von unterschiedlichster Form, Farbe und Größe ins Meer versenkt und die Sichttiefe erfasst. Solcherweise durchgeführte Sichttiefenuntersuchungen wurden zuerst von Herrn von Aufseß sowie nachfolgend von O. von Kotzebue gelegentlich der russischen Rurik-Expedition (1815-1818) und von weiteren Forschungsreisenden z.B. 1832 von Graf Xavier de Maistre reihenweise im Golf von Neapel durchgeführt.

Veröffentlichungen aus dem Jahre 1863 zeigen, dass im Bereich der Seenkunde die  runde Senkscheibe zur Sichttiefenmessung von Ritter Lorenz von Liburnau eingeführt wurde. Selbstverständlich ist die Größe der Scheibe für die Sichttiefenmessung von Bedeutung. So fand von Aufseß z.B. im Walchensee mit einer Scheibe von 1 m Durchmesser als Grenzwert 14 m, mit 30 cm Durchmesser eine Sichttiefe von  nur 10 m Der größte Erfolg bei der Anwendung dieser Schätzmethode war jedoch dem Jesuitenpater Angelo Secchi (geb. am 29.6.1818, gest. am 26.2.1878 in Rom) beschieden. Ab 1850 Professor und Direktor der Sternwarte des Collegio Romano, war er einer der Pioniere der Spektralanalyse der Sonne und der Fixsterne.

Während einer Kreuzfahrt des italienischen Forschungsschiffes „L’Immacolata Concezione“ durch das Mittelmeer von April bis Juni 1865 führte er systematisch und serienweise Sichttiefenmessungen durch. Er versuchte auch, die Sichttiefe zur Größe und Farbe der Scheibe, zum Bewegungszustand der Meeresoberfläche, zur Sonnenhöhe etc. in Beziehung zu setzen. Als besonders geeigneter Gegenstand, den man in die Tiefe hinabführt, bis er von der Oberfläche aus nicht mehr gesehen werden kann, erwies sich bei seinen Untersuchungen eine weißlackierte, kreisrunde Scheibe, die eine Anzahl von Löchern besitzt, um den Druck des Wassers besser balancieren zu können und durch Gewichte beschwert wird.

In den Jahren 1874-1875 führte der Schweizer Limnologe F.A.Forel am Genfer See Sichttiefenmessungen durch. Da sich die Studien von Pater Secchi als besonders bedeutend für die Wissenschaft herausstellten, benannte dieser berühmte Wissenschaftler - von ihm stammt u.a.auch das bekannte Zitat „Jeder See ist ein Mikrokosmos“ - im Jahre 1901 die weiße Senkscheibe zur Sichttiefenmessung nach dem italienischen Forscher „Secchi-Scheibe“.

Der Einsatzbereich dieser praktisch anzuwendenden Scheibenmethode umfasst heutzutage – häufig auch parallel zu den modernsten Techniken – Wasseruntersuchungen im Marinen- ebenso wie im Süßwasserbereich, die Trinkwassergewinnung ebenso wie die Abwasserreinigung. Das Fazinierende dieser Methode besteht nicht zuletzt darin, dass die so erhaltenen Datensätze – trotz ihrer eingeschränkten Objektivität – weltweit und Zeitalter überschreitend verglichen werden können. Aus diesen Gründen stellt die Sichttiefenmessung mit der Secchischeibe auch die wertvollste Datenbasis im Seen-Beobachtungsprogramm dar.

Eine Anekdote zur Sichttiefenmessung

Der berühmte englische Wissenschaftler Michael Faraday (1791-1867), der auf dem Gebiet der Chemie, der Elektrizität und des Magnetismus experimentierte, zeichnete sich durch ein großes Interessensspektrum aus und führte unter besonderen Rahmenbedingungen Sichttiefenmessungen durch. Am 7. Juli 1855 schrieb Faraday darüber an den Herausgeber der englischen  Zeitung „The Times“ folgenden Leserbrief (Übersetzung: Edith Reck-Mieth) :

„Sir  – Ich verkehrte dieser Tage zwischen 13.30 und 14.00 Uhr mit dem Dampfer zwischen London und Hungerford Bridges. Es war Niedrigwasser, – ich denke kurz vor Einsetzen des Hochwassers. Das Aussehen und der Gestank der Themse ließen mich aufmerksam werden. Der Fluss stellte in seiner Gesamtheit eine trübe, hellbraune Brühe dar. Um den Grad der Wassertrübung festzustellen, zerriss ich einige weiße Karten in kleine Stücke und befeuchtete sie, damit sie leichter unter die Wasseroberfläche absinken. An jedem Pier, an dem wir vorbeikamen, drückte ich einige Papierschnitzel ins Wasser. Bevor diese auch nur einen Inch (2,4 cm) unter die Oberfläche abtauchen konnten, waren sie schon nicht mehr zu erkennen, obwohl die Sonne hell am Himmel stand. Und als nur eine Ecke des Papierschnitzels ins Wasser eintauchte, war der untere Teil optisch bereits verschwunden, bevor das obere Ende auch nur eintauchen konnte...“.
Er beendete seinen Leserbrief mit dem Hinweis, „...dass er sich verpflichtet fühle, davor zu warnen, die Verschmutzung und den Gestank sorglos hinzunehmen und sich womöglich daran zu gewöhnen. Sonst könnte es passieren, dass wir in einigen Jahren mit einem traurigen Ergebnis als Folge unserer Torheit und unserer unverantwortlichen Sorglosigkeit konfrontiert werden.“

Michael Faraday setzte also die Sichttiefenmessung mit improvisierten Mitteln und aus dem Stehgreif heraus ein, um die Wassertrübung und damit die Verschmutzung der Themse mit Abwässern zu dokumentieren. Hat Faradays Leserbrief an den Herausgeber der „The Times“ rückblickend etwas bewirkt? Was will uns die zeitgenössische Karikatur sagen?
Erste Maßnahmen zur Entspannung der Abwassersituation wurden 1858 eingeleitet. Nach vielfältigen Bemühungen stellen sich heutzutage, 143 Jahre nach der oben geschilderten Episode, die Rahmenbedingungen der Themse z.B. als Lebensraum für Fische, sehr positiv dar. Lachse steigen wieder flußaufwärts.

Edith Reck-Mieth

Literatur: